Ein Spaziergang durch die Stadt am frühen Morgen … Der Gedanke begleitet mich schon seit vielen Jahren. Aber entweder war die Zeit zu knapp oder ich war nach der Taxi-Nachtschicht zu müde. Doch dann ist er da, der Tag, an dem sich das perfekte Match ergibt zwischen ein paar freien Stunden und dem Versprechen des Morgens, ein schöner Tag zu werden. Um 04:30 Uhr bringe ich einen Kunden mit meinem Taxi zum Flughafen, die nächste gebuchte Fahrt habe ich erst um 08:30. Also wann den lang gehegten Plan in die Tat umsetzen, wenn nicht jetzt?

Ich fahre erst auf den Mönchsberg und stelle den Wagen oberhalb der Müllner Kirche ab, um die noch im Morgengrau liegende Stadt von oben zu betrachten. Es ist 05:30 Uhr, als sich der Himmel über dem Gaisberg gelblich verfärbt, die Sonne hervorblitzt und die Salzach zum Leuchten bringt. Dann parke ich mein Taxi am Rotkreuz-Parkplatz und schlendere in Richtung Festspielbezirk. 

Gaisberg im Sonneaufgang - fotografiert von Gudrun Winklhofer

Mein Blick fällt in die Getreidegasse — menschenleer ist sie um diese Zeit und wird sich erst später mit Leben und Trubel füllen. Mir begegnet kaum jemand. Mein Weg führt vom Festspielbezirk über St. Peter (leider sind die Friedhofstore geschlossen) und den Domplatz zum Kapitelplatz. Das Schachspiel ist noch verwaist.

Sphaera, große goldene Kugel Salzburg

Die Sonnenstrahlen zaubern Lichtreflexe auf die Sphaera, die große goldene Kugel, auf der eine Figur in die Ferne blickt. Könnte der Mann im weißen Hemd denken — was fragte er sich und wovon träumte er?

Der angenehm kühle Sommermorgen lockt mich durch die engen Gassen und über die weiten Plätze. Das weiche Licht der aufgehenden Sonne verzaubert die Dächer und Fassaden, der Himmel wechselt vom fahlen Morgengrau in ein strahlendes Blau. Die Vögel begrüßen vielstimmig zwitschernd den neuen Tag. Was für ein wunderbarer Morgen; mein Herz schlägt emotionale Purzelbäume.

Vom Kapitelplatz spaziere ich über die Festungsgasse, Bierjodlgasse, Herrengasse, quere die Kaigasse und komme in die Krotachgasse, von dort in die Chiemseegasse, zum Papagenoplatz und in die Pfeifergasse.

Über den Mozartplatz gelange ich zum Residenzplatz. Der barocke Residenzbrunnen zeigt um diese Zeit zwar keine Wasserfontänen, zieht mich aber, von der Morgensonne verzaubert, magisch in seinen Bann. Ich kann mich nicht erinnern, diesen Brunnen, der zu den beeindruckendsten Brunnenbauwerken Mitteleuropas und zu den größten barocken Brunnen außerhalb Italiens zählt, jemals so genau betrachtet und so viele Details bemerkt zu haben! Neben den auffälligen Pferde- und Götterfiguren zeigen sich unzählige Kleintiere — Schildkröten, Frösche, Schlangen, Echsen. Der etwa 15 Meter hohe Residenzbrunnen aus Untersberger Marmor steht für die Macht des Fürsterzbischofs und für die barocke Repräsentationskultur. Die Meeresmotive symbolisieren die Macht über die Elemente. Es lohnt sich, diesem Brunnen mehr als einen flüchtigen Blick im Vorbeigehen zu schenken.

Über die Goldgasse und die Brodgasse erreiche ich die Judengasse und den alten Markt. Überall entdecke ich Details, deren Dasein ich längst vergessen oder noch gar nie bemerkt habe! Nun ja, ich bin ja meistens mit meinem Taxi in der Stadt unterwegs, da gehört meine Konzentration mehr der Straße als den Schönheiten meiner Stadt. In der Getreidegasse herrscht mittlerweile reger Lieferverkehr, die Stadt ist erwacht.

barocker Residenzbrunnen in SAlzburg
Gudrun-Winklhofer_Streifzug_durch_salzburg (2)

Im Sterngässchen bringt mich ein Schaukasten zum Schmunzeln: Enten, Enten, Enten! „Original Austro Ducks“, steht auf einem Schild. Natürlich gibt’s auch eine Mozart-Ente — eh klar, wir sind in Salzburg (wofür muss Mozart eigentlich nicht herhalten?) …  

„Morgenstund’ hat Gold im Mund“ — und das Flair der erwachenden Stadt. Wenn du das erleben willst, empfehle ich dir, bei einem frühen Spaziergang durch Salzburg zu genießen, wie der neue Tag der Stadt ihr buntes Kleid anlegt. Vielleicht flüstert dir der Sommermorgenwind, der durch die engen Gassen streicht, noch ein paar Geschichten zu — aus der Vergangenheit oder auch nur aus der letzten Nacht.

Ich war von 05:30 Uhr bis 08:00 Uhr in der linken Altstadt unterwegs (den rechten Teil und das Andräviertel werde ich zu einem späteren Zeitpunkt erkunden, wenn ich wieder ein paar frühe Stunden nutzen kann). Einziges Manko: Ich hätte mir gerne einen Kaffee gegönnt, aber wo? Um diese Zeit muss man sich den Kaffee-Gusto für später aufheben …

Ich lass’ dir ein passendes Haiku da:

Fahles Morgenlicht.
Frühe Gedanken tanzen
durch enge Gassen.

Deine Gudrun Winklhofer